Auf einen Blick: Diversifizierung
Unter dem Begriff Diversifizierung (auch Diversifikation) versteht man eine Vergrößerung der Vielfalt. Für die Aquakultur bedeutet Diversifizierung zunächst eine Erhöhung der Anzahl produzierter Arten, also eine Erweiterung des Artenspektrums.
Trotz der großen (Arten-)Vielfalt (Diversität) der Fische, Muscheln und Krebstiere (zusammen weit über 100.000 verschiedene Arten) wird die Aquakultur weltweit von nur einigen wenigen Arten dominiert. Die 20 am häufigsten bewirtschafteten Arten(-gruppen) haben alleine einen Anteil von 84,2 % an der weltweiten Erzeugung. Für diese wichtigen Aquakulturarten existieren entsprechend ausgereifte Protokolle (bspw. für die Vermehrung), speziell abgestimmte Futtermittel und ggf. auch artspezifische Medikamente und Impfstoffe. Die Produktion dieser Arten ist in Folge dessen sehr effektiv.
Diese Konzentration auf einige wenige Arten hat allerdings auch Nachteile: Krankheiten können sich leichter ausbreiten, die lokalen Bedingungen, z. B. die klimatischen Gegebenheiten oder rechtlichen Rahmenbedingungen, erlauben die Produktion bestimmter Arten nicht oder es besteht die Gefahr für das umgebende Ökosystem durch entflohene Tiere aus der Aquakultur, sogenannte Escapees.
Daher wird vielerorts daran geforscht neue Arten in die Aquakultur einzuführen oder die Produktion von derzeit unbedeutenden, aber potentiell geeigneten (insbes. regionalen) Arten zu verbessern. Hierfür müssen die Arten bestimmte Voraussetzungen erfüllen, so sollten sie sich z. B. unter Aquakulturbedingungen vermehren lassen und vom Verbraucher akzeptiert werden. Der Weg zur Etablierung neuer Arten ist oft lang und beschwerlich und mit einem hohen Forschungsaufwand verbunden.
Im folgenden Artikel finden Sie detaillierte Informationen zum Thema Diversifizierung in der Aquakultur. Beispiele für neue Arten finden Sie am Ende des Artikels.
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Trotz der großen Artenvielfalt der Fische, Muscheln und Krebstiere wird die Aquakultur weltweit von nur einigen wenigen Arten dominiert. Derzeit tragen ca. 27 Arten bzw. Artengruppen zu über 90 % der globalen Produktion bei. Die 20 am häufigsten bewirtschafteten Arten (-gruppen) haben alleine einen Anteil von 84,2 % an der weltweiten Erzeugung.
Die folgenden Fischarten haben jeweils einen Anteil von über 5 % an der weltweiten Erzeugung: Graskarpfen (Ctenopharyngodon idellus) 11 %, Silberkarpfen (Hypophthalmichthys molitrix) 10 %, Karpfen (Cyprinus carpio) 8 %, Tilapia (Oreochromis niloticus) 8 %, Marmorkarpfen (Hypophthalmichthys nobilis) 7 %, Karauschen (Carassius spp.) 6 % und Catlabarbe (Catla catla) 6 %. Diese Dominanz der Karpfenartigen liegt vor allem an der enormen Bedeutung in der chinesischen Aquakultur.
Die Vorteile der Konzentration auf bestimmte Fischarten liegen auf der Hand. Es existiert ein großes Wissen über die Biologie der jeweiligen Art und entsprechend angepasste Protokolle für die Aquakultur. Hierzu zählen neben mitunter sehr aufwändigen Protokollen für die Vermehrung (Reproduktion), z. B. beim Lachs als anadromer Wanderfisch, auch Kenntnisse über die Larven-, Jungfisch- und die Mastphase. Die Anforderungen, die eine einzelne Fischart an die Umgebungsbedingungen (u. a. Haltungsdichte, Futtermittel, Wasserparameter) stellt, können sich im Laufe der Ontogenese (Entwicklung) mitunter stark verändern. Junge Lachse bspw. verbringen die frühen Lebensstadien im Süßwasser während die Mast im Salzwasser stattfindet.
Rund um die Hauptarten hat sich eine ganze Industrie entwickelt. Hierzu zählen Verarbeitungs- und Futtermittelbetriebe, welche angepasste Futtermittel und Vorrichtungen (z. B. Filetiermaschinen, Grätenschneider) für die Zielarten liefern oder die Produkte weiter veredeln (z. B. Räuchern). Die Produkte sind auf dem Markt etabliert und sind durch die ausgereiften Techniken in der Regel ganzjährig für Verbraucher verfügbar, oft auch als Convenience-Produkte.
Manche Arten, wie z. B. der Karpfen, werden seit Jahrtausenden kultiviert und sind entsprechend züchterisch bearbeitet (siehe auch Artikel Domestikation). Bei anderen, wie dem Lachs, geht die Domestikation rapide voran, bis hin zu genetischen Modifikationen. Ziel der Züchtung ist es bestimmte Eigenschaften verbessern, z. B. Krankheits- und Stressresistenz, Filetertrag oder Futterverwertung.
Die Produktion dieser Hauptarten ist entsprechend effizient. Dies wird weiter durch die Verfügbarkeit von speziellen Impfstoffen und Medikamenten zur Behandlung von Krankheiten oder zur Abwehr von Parasiten, wie der Lachslaus, gesteigert. Warum wird also nach neuen Arten für die Aquakultur gesucht? Hierfür kann es verschiedene Gründe geben, u. a.:
- Krankheiten und Parasiten, wie der Koi-Herpesvirus (KHV) oder die Lachslaus, betreffen mitunter nur einzelne Arten oder bestimmte Artengruppen. Durch die Konzentration der Produktion in der Aquakultur können sich solche Erreger und Parasiten leichter ausbreiten. Neue Arten können diesen gegenüber weniger oder sogar gar nicht anfällig sein.
- Auf Grund von (natürlichen oder anthropogen verursachten) Schwankungen der wildlebenden Populationen und damit der sinkenden Verfügbarkeit aus der Fangfischerei, sollen bestimmte Arten alternativ in Aquakultur produziert werden. Ein Beispiel hierfür sind die Zuchtbemühungen beim Dorsch, welche jedoch auf Grund der gesteigerten Kosten in der Aquakultur nach Wiedererstarken der natürlichen Populationen weitestgehend aufgegeben wurden. Besonders bei neuen Arten gilt, dass die Produktionskosten in Aquakultur im Vergleich (zunächst) höher ausfallen können. Die Aquakultur neuer Arten wird daher meist nur dann wirtschaftlich, wenn es eine hohe Nachfrage gibt, die nicht durch die Fangfischerei abgedeckt werden kann. Ein gutes Beispiel aus Mitteleuropa hierfür ist der Zander.
- Die lokalen Gegebenheiten, z. B. Gesetzgebung, Klimaverhältnisse oder Verbraucherakzeptanz, begünstigen nicht die Aquakultur einer bereits etablierten Art. Die Catlabarbe ist bspw. trotz eines Anteils von ca. 6 % an der globalen Erzeugung in Europa weitestgehend unbekannt. Dies beeinflusst die Nachfrage vor Ort. Die Produktion natürlich in der Region vorkommender Arten hat neben der meist vorhandenen Marktakzeptanz auch den Vorteil, dass sie an die klimatischen Gegebenheiten angepasst sind und keine Gefahr der Faunenverfälschung durch entflohene Individuen besteht.
- Die Aquakultur von Hauptarten, welche jedoch vor Ort nicht natürlich vorkommen, kann dazu führen, dass sich entflohene Individuen in der Wildnis vermehren. Da das Ökosystem nicht auf solche Invasoren vorbereitet ist, können weitreichende und gravierende Störungen die Folge sein. Beispiele sind hier die Silberkarpfen in Nordamerika oder auch Tilapien in Südamerika und Asien.
- Neue Technologien erlauben die Aquakultur einer Art, welche zuvor nicht unter den gegebenen Bedingungen erzeugt werden konnte. Die Kreislauftechnologie ermöglicht beispielsweise eine standortunabhängige Erzeugung einer Vielzahl von Arten durch die unabhängige Kontrolle der Haltungsbedingungen.
Bei der Suche nach neuen Arten für die Aquakultur spielen entsprechend eine Reihe von biologischen, technischen und sozioökonomischen Faktoren eine kritische Rolle.
- Die Art muss in Gefangenschaft gehalten werden können (alle Lebensstadien) und sich dort (kontrolliert) vermehren lassen.
- Die Art kommt u. U. natürlich im Ökosystem vor oder kann sich dort nicht ausbreiten (z. B. durch eine unterschiedliche Temperaturtoleranz), wenn die Aquakultur in offenen Systemen, wie Teichen oder Netzgehegen, stattfinden soll.
- Die Art ist idealerweise robust und tolerant gegenüber Schwankungen, Stress, Krankheiten und Parasiten, weist keinen ausgeprägten Kannibalismus oder Territorialverhalten auf und lässt sich durch verfügbare Futtermittel ernähren.
- Die Art hat idealerweise eine gute Futterverwertung und/oder akzeptiert verschiedene Futtermittel (z. B. alternative Futtermittel auf Pflanzen- oder Insektenbasis).
- Es besteht eine Nachfrage nach dem Produkt seitens des Handels und der Verbraucher oder diese Nachfrage kann durch die Schaffung eines Marktes generiert werden.
- Die Art ist idealerweise leicht zu verarbeiten und bietet Potential für mehr Wertschöpfung.
- Das Produktionskonzept muss schlussendlich ökonomisch sinnvoll sein (z. B. Konkurrenz mit u. U. günstigeren Produkten aus der Fangfischerei).
Ist eine potentielle neue Art zur Produktion in Aquakultur identifiziert, muss mitunter ein großer Forschungsaufwand investiert werden, um dies zu realisieren. Für jede Art müssen die optimalen Haltungs- und Reproduktionsbedingungen identifiziert und für die Anwendung in Protokolle überführt werden. Die Arten unterscheiden sich mitunter drastisch im natürlichen Verhalten und ihrer Biologie, im Anspruch an die Beckengröße oder an die Ernährung. So bauen manche Fische Nester und laichen paarweise, z. B. der Zander, andere laichen in Gruppen im Freiwasser, z. B. Quappen. Auch die Sozialverträglichkeit spielt eine Rolle. Forellen zeigen bspw. bei geringen Haltungsdichten eine starke Hierarchie, während dies ab einer bestimmten Dichte weniger stark ausgeprägt ist.
In der Regel beginnt dieser Prozess mit dem Fang wildlebender Laichtiere (Elterntiere) und deren Vermehrung (Reproduktion). Nur selten werden Arten in Aquakulturen erzeugt, welche sich nicht in Gefangenschaft vermehren lassen. Hierzu gehören z. B. der Aal oder auch Thunfische. Diese Sonderformen bezeichnet man als Mast (engl. on-growing) juveniler Wildfänge. Auch bei der Muschelerzeugung werden meist Muschellarven aus dem Meer verwendet und aufgezogen.
Faktoren welche häufig bei der Aquakultur neuer Arten auftreten sind reproduktive Dysfunktionen, z. B. keine Reifung oder eine schlechte Gametenqualität (Qualität der Eier und Spermien), hohe Larvensterblichkeit, z. B. durch Kannibalismus oder Problemen bei der Futteraufnahme, Krankheiten und schlechte Futterverwertung während der Mast.
Um neue Arten erfolgreich in die Aquakultur zu überführen, bedarf es folglich eines großen Forschungsaufwands. Dem tragen Fördermittelgeber durch die Bereitstellung von Projektgeldern wiederholt Rechnung und an vielen Orten wird an der Diversifizierung der Aquakultur geforscht. Eines der umfangreichsten jemals im Bereich Aquakultur von der Europäischen Kommission geförderten Großprojekte war DIVERSIFY. Das Projekt hatte zum Ziel insgesamt sechs Zielarten für die Diversifizierung der Europäischen Aquakultur zu bearbeiten. Neben der Erstellung von Protokollen wurden im Projekt auch sozio-ökonomische Hintergründe und Wertschöpfungsketten analysiert.
Die erstellten technischen Handbücher verdeutlichen exemplarisch die Probleme und Herausforderungen solcher Unterfangen und die schrittweise Bewältigung. Sie können die technischen Handbücher hier auf Aquakulturinfo herunterladen. Die englischen Originale finden Sie auf der DIVERSIFY Webseite.
Technisches Handbuch Adlerfisch
Technisches Handbuch Bernsteinmakrele
Technisches Handbuch Großkopfmeeräsche
Technisches Handbuch Weißer Heilbutt
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[Stand 05/2019]