Escapees – „Ausbrecher“

Entwichene Tiere aus Aquakulturen

Durch Schäden im Außenmaterial können aus Netzgehegen innerhalb kurzer Zeit große Mengen Fisch entweichen. Foto: Pixabay

Auf einen Blick: Escapees

Entwichene Tiere aus Aquakulturanlangen bezeichnet man auch mit dem englischen Begriff Escapees (Ausbrecher). Besonders aus Netzgehegen können, z. B. durch Schäden im Außenmaterial oder durch Stürme, innerhalb kurzer Zeit große Mengen Fisch entweichen und in die freie Wildbahn gelangen. Die entkommenen Zuchttiere gefährden das natürliche Ökosystem u. a. durch Konkurrenz um Futter und Laichplätze, Übertragung von Krankheiten und besonders durch Kreuzung mit Wildbeständen. Genaue Zahlen über die Escapees pro Jahr gibt es nicht, aber Schätzungen gehen von mehreren Millionen aus.

Wie entkommen Tiere aus der Aquakultur?

Dort, wo Tiere in offenen Systemen gehalten oder transportiert werden, können sie auch in das umliegende Ökosystem gelangen. Besonders in offenen Aquakultursystemen, welche an das natürliche Oberflächenwasser angebunden und den Klimaereignissen ausgesetzt sind, besteht die Gefahr, dass Tiere ungewollt entweichen. Sind die Barrieren zwischen Zuchttieren und freier Wildbahn dazu noch besonders niedrig, wird das Entkommen erleichtert. Daher sind besonders Netzgehege im Meer, in großen Seen oder Flüssen von Ausbrüchen betroffen. Man unterscheidet grundsätzlich das massenhafte Auftreten entwichener Tiere innerhalb eines kurzen Zeitraums, z. B. wenn durch einen Sturm gesamte Netzgehege zerstört oder gekippt werden oder auf eine andere Art und Weise komplett verloren gehen, und dem kontinuierlichen Entweichen geringer Stückzahlen, z. B. durch Löcher in den Netzgehegen.

Netzgehege bzw. Netzkäfige bestehen aus schwimmenden runden oder eckigen Plattformen oder Schwimmkörpern. An diesen Konstruktionen sind Netze aus Kunststoff oder anderen Materialien, z. B. Kupfer oder Stahl, zur Haltung der Tiere befestigt. Sie sind meist über Seile fest am Gewässerboden und/oder an der Küste verankert. Nach oben sind die Konstruktionen in der Regel offen oder maximal mit einem feinen Netz zur Abhaltung von Vögeln bespannt. Im Fall eines Sturms oder sonstiger Wetterereignisse können sich die Netzgehege von der Verankerung lösen und zusammenbrechen, umkippen oder sinken. Die gehaltenen Tiere entkommen meist in großer Anzahl. Auch wenn sich die Netzgehege nicht komplett lösen, können sie bei extremem Wellengang überspült werden. Hierbei entweichen zwar meist nicht alle Tiere, aber ein Teil. Es kann auch vorkommen, dass Netzgehege durch Schiffe gerammt und beschädigt werden.

Überspülte Netzgehege

Neben diesen Extremereignissen, welche meist das Entweichen des ganzen Tierbestands zur Folge haben, können Beschädigungen im Außenmaterial dazu führen, dass kontinuierlich Tiere entweichen können. Dies kann z. B. durch Materialverschleiß auftreten oder durch Raubtiere wie große Haie, Seehunde usw., die versuchen durch das Netz an die vermeintlich leichte Beute im Inneren des Netzgeheges zu gelangen. Auch die Zuchttiere selbst können durch Verbiss Materialschäden hervorrufen. Nach nicht ausreichender Verankerung gilt das Entkommen infolge von Angriffen von Räubern oder durch Löcher noch vor Sturmereignissen als eine der Hauptursachen für das Auftreten von Escapees.

Auch im Binnenland ist es möglich, dass Tiere ungewollt aus den Aquakulturen entweichen. Durchflussanlagen oder Teichanlagen können z. B. infolge von Hochwasser überflutet werden, Teichdämme können durch Umwelteinflüsse beschädigt oder zerstört werden (Biber, Nutria) oder Haltungseinrichtungen sind nicht an die Art angepasst und dadurch wird das Entweichen möglich. Aale sind bspw. wahre Ausbruchskünstler und können sich über kurze Distanzen am Land bewegen. In der Regel ist die Anzahl der gehaltenen Tiere in solchen Systemen meist deutlich geringer als in Netzgehegen. Netzgehege in großen Binnenseen oder Flüssen sind vergleichbar mit den marinen Anlagen. Als sicher gelten besonders Kreislaufanlagen und andere von den natürlichen Wasserwegen entkoppelten Aquakulturen. Durch die räumliche Entfernung zu Wasserkörpern und die strikte Trennung von der Umwelt, z. B. in einer Produktionshalle oder durch die Ableitung der Produktionsabwässer in die Kanalisation, sind Escapees hier nahezu ausgeschlossen. Vor menschlichem Versagen, Fehlverhalten, Vorsatz oder Vandalismus ist natürlich keine Aquakultur gefeit. Hierunter zählt auch die „Befreiung“ von Zuchttieren.

Eine weitere potentielle „Fluchtmöglichkeit“ stellt der Transport von Zuchttieren dar. Die Jungtiere für die Mast werden oft in räumlich getrennten Anlagen erzeugt und für die Mast weitertransportiert. Kommt es zu einem Unfall des LKW oder Transportboots, können die Fische entkommen und so auch in Gewässer gelangen, in denen eigentlich gar keine Aquakultur stattfindet.

Das Entweichen von Fischen aus Netzgehegen scheint auch artabhängig zu sein. Verhältnismäßig gut untersucht ist dies im Vergleich von Dorsch und Atlantischem Lachs. Dorsche neigen dazu, in die Netze zu beißen, und sind insgesamt „neugieriger“. Dies führt dazu, dass proportional mehr Dorsche aus Netzgehegen entkommen als Lachse.

Welche Folgen hat das Entkommen aus Aquakultur für die Umwelt?

Die Gefahr, die entkommene Tiere aus Aquakulturen für die Umwelt darstellen, wird generell als hoch eingestuft. Laut einer aktuellen Studie sind weltweit knapp ein Drittel der Ökosysteme hierdurch gefährdet. Dabei verursachen entwichene Tiere sehr unterschiedliche Schäden. Dies ist auch davon abhängig, ob die Art natürlich im umgebenden Ökosystem vorkommt bzw. dort auf Dauer überleben kann oder nicht. Es macht ebenfalls einen Unterschied, ob Tiere auf einmal massenhaft oder kontinuierlich über einen Zeitraum in kleinen Mengen entfliehen, auch wenn in beiden Fällen die Anzahl aufs Jahr gesehen gleich sein mag.

Unabhängig von der Art und der Anzahl entkommener Tiere, können Escapees das Ökosystem und die dort lebenden Arten (Wildbestände) schädigen. Zu den Ursachen gehören u. a.

  • die Übertragung von Krankheiten oder Parasiten,
  • die Konkurrenz um Nahrung, Reviere, Laichplätze usw. und vor allem
  • die Einkreuzung und damit Veränderung des Genpools.

Viele Arten in Aquakultur sind über Jahrzehnte auf die Bedingungen der Aquakultur selektiert. Zudem sind die Individuen seit dem Schlupf an die Lebensbedingungen in Aquakulturen gewöhnt, fressen bspw. pelletierte Nahrung und kennen meist keine Räuber. Insofern ist ihre Fitness und Überlebensfähigkeit in freier Wildbahn geringer als bei wildlebenden Artgenossen. Tatsächlich konnte z. B. bei entflohenen Atlantischen Lachsen in Tasmanien durch Mageninhaltsanalysen festgestellt werden, dass sie sich  in freier Wildbahn kaum ernähren konnten. Entkommene Regenbogenforellen ernährten sich jedoch eher von natürlicher Beute.

Wenn die entwichenen Tiere jedoch überleben und sich bei der Reproduktion in Wildbestände einkreuzen, d. h. sich mit wilden Artgenossen paaren, beeinflussen sie so den Genpool (Gesamtheit der genetischen Information) der wilden Population. Tiere aus Aquakulturen unterscheiden sich in der Regel deutlich von ihren wilden Artgenossen. Durch die züchterische Selektion werden bestimmte Merkmale verstärkt, welche optimale Anpassung an die Aquakultur versprechen (siehe Artikel Domestikation). Hierzu zählen z. B. Eigenschaften wie Krankheits- und Stressresistenz, Wachstum, Futterverwertung oder auch bestimmte morphologische Eigenschaften, welche z. B. eine höhere Schlachtausbeute generieren. Die Eigenschaften sind zwar für die Aquakultur förderlich, können aber bei einer wilden Population zu Nachteilen führen. Zudem sind lokale Bestände meistens spezifisch über tausende von Jahren an ihren lokalen Lebensraum (u. a. Temperaturverlauf, Nahrungsverfügbarkeit, Wanderdistanzen) adaptiert. Da die Zuchttiere nicht notwendigerweise aus demselben Bestand abstammen, wird also in der Folge auch die genetische Anpassung an den Lebensraum verringert. Die Fitness des Wildbestands wird reduziert. Doch auch wenn entkommene Tiere nicht auf wildlebende Sexualpartner treffen, können sie langfristige Schäden bedingen.

Aufstieg von Lachsen

Arten, die im umgebenden Ökosystem nicht natürlich vorkommen, werden Neozoen (Tiere) oder Neophyten (Pflanzen) genannt. Laut wissenschaftlichen Schätzungen besteht ungefähr ein Viertel der globalen Aquakultur aus in der betreffenden Region nicht heimischen Arten. Wenn diese Tiere nun entkommen, können sie sich unter Umständen im Ökosystem etablieren. Es entsteht ein Konkurrenzverhältnis zu den heimischen Arten in Bezug auf den verfügbaren Lebensraum oder/und die Nahrungsressourcen. Alternativ kann sich aber auch ein neues Räuber-Beute-Verhältnis etablieren. Sollten sich die neuen Arten dauerhaft in der neuen Umgebung halten und auch dort vermehren, entstehen über die Zeit massive Schäden im Ökosystem (siehe auch Artikel Umweltauswirkungen). Gut dokumentiert sind z. B. Massenausbrüche Atlantischer Lachse aus Netzgehegen im Pazifik. Dort kommen sie nicht natürlich vor und treten in Konkurrenz mit den pazifischen Lachsarten.

Die entwichenen Tiere können, auch wenn sie aufgrund mangelnder Anpassung relativ schnell absterben, Krankheiten oder Parasiten (z. B. Lachslaus) übertragen. Dies kann dadurch verstärkt werden, dass Zuchttiere beim Transport mitunter große Entfernungen zurücklegen. Befruchtete Forelleneier lassen sich bspw. leicht transportieren, um sie anderswo auszubrüten. So können sich lokale Krankheitserreger und Parasiten bei Arten mit globaler Bedeutung schnell in dem gesamten neuen Nutzungsgebiet ausbreiten. Besonders gefährlich ist eine solche Übertragung, wenn die entkommenen Zuchttiere gegenüber den Krankheiten selbst immun sind, die natürlich vorkommenden Arten jedoch nicht. Ein Beispiel für einen solchen Transfer und die anschließende Verbreitung des Parasiten, auch in natürliche Bestände, ist der Lachsparasit Gyrodactylus, der mit Besatzmaterial aus Schweden in Norwegen eingeschleppt wurde. Da der Parasit hier nicht vorkam, waren die lokalen Lachsstämme nicht an den Parasiten angepasst und zeigten hohe Fitnessverluste und Sterblichkeit, was regional die natürlichen Lachsbestände einer Vielzahl der größeren Flüsse in Norwegen fast zum Erliegen brachte. Gegenmaßnahmen sind aufwändig und umfassen den Aufbau von Backup-Beständen unter kontrollierten Bedingungen, die Vernichtung der Fischfauna des Flusssystems und ein nachgeschaltetes Monitoring; nachfolgend werden die lokalen Lachsstämme nachgezüchtet und wieder besetzt. Eine Maßnahme, die je nach Flusseinzugsgebiet viele Millionen Euro kostet.

Für Räuber stellen aus Aquakultur entkommene Tiere meist leichte Beute dar, denn sie sind nicht angepasst und nicht auf Räubervermeidung trainiert. Während ein Massenausbruch nur zu einer kurzfristigen Verfügbarkeit von Beute führt, kann ein kontinuierliches Entkommen weniger Fische dauerhaft dazu führen, dass sich eine regelrechte Fressgemeinschaft rund um die betroffenen Anlagen bildet. Dies kann dazu führen, dass sich die Raubtiere speziell auf diese Nahrungsressource einstellen und sich über ein umweltverträgliches Maß hinaus vermehren. Sollte die leichte Beute ausbleiben, könnten Wildbestände dezimiert werden.

Seehunde können eine Gefahr für die Aquakultur sein

Was kann man gegen das bzw. bei Entkommen von Tieren aus Aquakulturen tun?

Vorbeugende Maßnahmen sind extrem wichtig, um das Entkommen von Tieren aus Aquakultur zu vermeiden. Hierzu zählen vor allem die folgenden Punkte:

  • Auswahl eines geeigneten Standorts (z. B. geschützte Buchten oder Fjorde mit geringerer Gefahr extremer Wetterereignisse, Orte abseits von Schifffahrtslinien)
  • Auswahl geeigneter Arten entsprechend den örtlichen Gegebenheiten (Vermeidung der Gefahr der Einschleppung von Neozoen, Einkreuzung)
  • Absicherung der Aquakulturanlagen gegenüber extremen Wettereignissen (z. B. Verankerung, Dämme, Containments) und Sicherung der Konstruktion gegen Räuber und Materialschäden (z. B. doppelte Netzwände, geeignetes Netzmaterial)
  • Regelmäßige Kontrolle der Haltungsanlagen auf Schäden
  • Absicherung beim Transport (z. B. kein offener Transport von Zuchttieren)
  • Genaue Überwachung des Gesundheitszustands, besonders bei zu transportierenden Tieren
  • Vergrämungsmaßnahmen zur Abhaltung von Räubern

Gegen die Einschleppung von Erregern durch den Transfer von lebenden Tieren für die Aquakultur wurde bereits in den 1980er Jahren der Code of Practice vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) verabschiedet. Leider ist die Umsetzung in der Praxis an nationalen Hürden vielfach und flächendeckend gescheitert. Der Code bietet eine Staffelung von Maßnahmen, wie eine Genehmigungspflicht für überregionale Transfers, eine Quarantäneverpflichtung für die transportierte Generation und eine Genehmigungsfähigkeit der Nutzung nur bei Tieren der F1-Generation, wenn diese seuchenfrei sind. Weiterhin wird eine Reihe von Schutzmaßnahmen vorgestellt, die das Risiko der Einschleppung in natürliche Gewässer zumindest deutlich erschweren. Auf Druck der Industrie ist in vielen Ländern dieses Regelwerk nicht oder nur bruchstückhaft umgesetzt worden.

Sind die Tiere erstmal entkommen und können sie dort überleben, ist es sehr schwierig, sie wieder aus dem Ökosystem zu entfernen. Wenn z. B. durch Löcher in den Netzen über einen gewissen Zeitraum eine geringe Anzahl von Tieren kontinuierlich entkommt, ist das Wiedereinfangen der Tiere meist aussichtslos. Wenn es aber zu einem Massenausbruch kommt, wird in der Regel versucht, die Tiere wieder einzufangen. Diese Maßnahmen sind jedoch selten von Erfolg gekrönt. In einer Metastudie errechneten Wissenschaftler, dass der „Wiederfangerfolg“ allgemein lediglich 8 % beträgt. Der Erfolg dieser Bemühungen sinkt mit steigender Fischgröße und steigender Anzahl entkommener Tiere. Beginnen die Maßnahmen bereits innerhalb von 24 Stunden nach Ausbruch, stehen die Chancen am besten. Leider ist dies oft nicht möglich, denn Stürme und Hochwässer gelten als größte Verursacher von Massenausbrüchen und verhindern gleichzeitig Maßnahmen des Wiederfangs.

Dort, wo durch staatliche Überwachungsorgane ein Entkommen von Tieren festgestellt und geahndet wird, drohen den Betreibern empfindliche Strafen. In Norwegen bspw. rufen betroffene Betreiber mitunter die örtlichen Sportangler zur Hilfe, denn für jeden entkommenen Fisch ist eine Strafzahlung fällig. Die Angler fangen entkommene Fische und erhalten bei Vorlage des Nachweises beim Betreiber für jeden Fisch eine „Kopfprämie“.

Nachgehakt: Wie viele Tiere entkommen jedes Jahr aus der Aquakultur?

Präzise Angeben zu den jährlich weltweit aus Aquakultur entkommenen Tieren gibt es nicht. Dies liegt vor allem daran, dass nicht viele Länder offizielle Statistiken führen und Ausbrüche, besonders im Fall kontinuierlicher kleiner Mengen, nicht immer bemerkt bzw. gemeldet werden. Einige dokumentierte Beispiele verdeutlichen aber die potentiellen Größenordnungen. So wurden zwischen 2002 und 2006 allein in Schottland über 1 Million entkommene Atlantische Lachse gemeldet. In Norwegen waren es zwischen 2001 und 2009 3,93 Millionen Lachse, knapp 1 Million Regenbogenforellen und 1,05 Millionen Dorsche. In Chile gab es bei einem Massenausbruch aus einer einzigen Farm nach einem Sturm den Verlust von 650.000 Lachsen zu melden. In einer Studie wurden für sechs europäische Länder (Irland, Großbritannien, Norwegen, Spanien, Griechenland und Malta) im Zeitraum von 2007 bis 2009 Verluste durch Ausbrechen berechnet. Es entkamen insgesamt 8.922.863 Fische aus 242 verschiedenen Fluchtereignissen. Über 5 Millionen dieser Fische entkamen bei nur zwei katastrophalen Unfällen. Mit knapp 77 % waren die meisten entkommenen Fische Doraden, gefolgt von Atlantischen Lachsen (9,2 %).

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